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Meine geniale FreundinOverlay E-Book Reader

Meine geniale Freundin

Roman | Elena Ferrante

E-Book (EPUB)
2016 Suhrkamp
Auflage: 1. Auflage
422 Seiten
ISBN: 978-3-518-74797-1

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€ 11,99

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Kurztext / Annotation

In einem volkstümlichen Viertel Neapels wachsen sie auf, derbes Fluchen auf den Straßen, Familien, die sich seit Generationen befehden, das Silvesterfeuerwerk artet in eine Schießerei aus. Hier gehen sie gemeinsam in die Schule, die unangepasste, draufgängerische Lila und die schüchterne, beflissene Elena, beide darum wetteifernd, besser zu sein als die andere. Bis Lilas Vater sein brillantes Kind zwingt, in der Schusterei mitzuarbeiten, und Elena mit dem bohrenden Verdacht zurückbleibt, das Leben zu leben, das eigentlich ihrer besten, ihrer so unberechenbaren Freundin zugestanden hätte.



Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

8

Wahrscheinlich war das meine Art, mit Neid und Hass umzugehen und beides zu unterdrücken. Oder vielleicht verschleierte ich auf diese Weise mein Gefühl der Unterlegenheit, die Faszination, der ich unterworfen war. Auf jeden Fall übte ich mich darin, Lilas Überlegenheit auf allen Gebieten bereitwillig zu akzeptieren, und auch ihre Schikanen.

Zudem verhielt sich unsere Lehrerin sehr umsichtig. Zwar ließ sie Lila oft neben sich sitzen, doch sie schien das eher zu tun, um sie ruhigzustellen, als um sie zu belohnen. Eigentlich lobte sie fortwährend Marisa Sarratore, Carmela Peluso und vor allem mich. Sie ließ mich in einem hellen Licht erstrahlen, spornte mich an, immer disziplinierter, immer fleißiger, immer scharfsinniger zu werden. Wenn Lila ihre Aufsässigkeit aufgab und mich mühelos überholte, zollte Maestra Oliviero zunächst mir eine maßvolle Anerkennung und lobte dann sie in den höchsten Tönen. Die Bitterkeit der Niederlage empfand ich am stärksten, wenn Marisa oder Carmela mich überflügelten. Wenn ich dagegen die Zweite hinter Lila wurde, zog ich eine Miene milden Einverständnisses. Ich glaube, in jenen Jahren fürchtete ich nur eines: in der von Maestra Oliviero aufgestellten Hierarchie nicht mehr mit Lila in Verbindung gebracht zu werden, die Lehrerin nicht mehr mit Stolz sagen zu hören: Cerullo und Greco sind die Besten. Hätte sie eines Tages gesagt: Cerullo und Sarratore sind die Besten, oder Cerullo und Peluso, ich wäre auf der Stelle tot umgefallen. Daher verwendete ich alle meine Kräfte eines kleinen Mädchens nicht darauf, Klassenbeste zu werden - dieses Ziel hielt ich für unerreichbar -, sondern darauf, nicht auf den dritten, auf den vierten oder auf den letzten Platz abzurutschen. Ich widmete mich dem Lernen und vielen anderen schwierigen Dingen, die mir fernlagen, nur um mit diesem schrecklichen, strahlenden Mädchen Schritt halten zu können.

Strahlend war sie für mich. Für alle anderen Schüler war Lila nur schrecklich. Von der ersten bis zur fünften Grundschulklasse war sie durch die Schuld des Direktors und ein wenig auch wegen Maestra Oliviero das unbeliebteste Mädchen in der Schule und im Rione.

Mindestens zweimal im Jahr ordnete der Direktor einen Wettstreit der Klassen untereinander an, um die besten Schüler und damit auch die fähigsten Lehrer zu ermitteln. Maestra Oliviero gefiel dieser Wettbewerb. Im ständigen Streit mit ihren Kollegen, bei denen sie manchmal offenbar kurz davor war, handgreiflich zu werden, benutzte unsere Lehrerin Lila und mich als leuchtendes Beispiel dafür, wie gut sie war, die beste Lehrerin in der Grundschule unseres Viertels. So kam es oft vor, dass sie uns auch außerhalb der vom Direktor angeordneten Termine in andere Klassen brachte, damit wir gegen andere Kinder antraten, Mädchen und Jungen. Ich wurde für gewöhnlich vorgeschickt, um den Leistungsstand des Feindes zu sondieren. Im Allgemeinen gewann ich, doch ohne zu übertreiben, ich beschämte weder die Lehrer noch die Schüler. Ich war ein blondlockiges, niedliches Mädchen und froh darüber, zu zeigen, was ich konnte, doch ich war nicht dreist, ich vermittelte den Eindruck rührender Zartheit. Wenn ich dann die Beste darin war, Gedichte und das Einmaleins aufzusagen, Division und Multiplikation anzuwenden und die Seealpen, die Kottischen Alpen, die Grajischen Alpen, die Penninischen Alpen und so weiter aufzuzählen, strichen mir die anderen Lehrer trotzdem übers Haar, und die Schüler merkten, wie viel Mühe es mich gekostet hatte, dieses ganze Zeug auswendig zu lernen, weshalb sie mich nicht hassten.

Anders verhielt es sich mit Lila. Schon in der ersten Klasse stand sie außerhalb jeder möglichen Konkurrenz. Unsere Lehrerin sagte sogar, mit ein bisschen Anstrengung könnte sie sofort die Prüfungen der zweiten Klasse ablegen und mit nicht einmal sieben Jahren in die dritte Klasse gehen. In der Folgezeit vergrößerte sich der Absta