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Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibeOverlay E-Book Reader

Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe

Josef Winkler

E-Book (EPUB)
2018 Suhrkamp
Auflage: 1. Auflage
200 Seiten
ISBN: 978-3-518-75717-8

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Kurztext / Annotation

Erst vor wenigen Jahren hat Josef Winkler erfahren, dass sein Kärntner Landsmann Odilo Globocnik, der sich als Leiter der 'Aktion Reinhardt' mit den Worten 'Zwei Millionen ham' ma erledigt' des Massenmords an den Juden gerühmt hatte, nach seinem Zyankali-Freitod im Mai 1945 auf einem Gemeinschaftsfeld von Winklers Heimatdorf Kamering verscharrt wurde, in den 'Sautratten' - dort, wo Winklers Vater und Großvater ihr Getreide anbauten und ernteten.

In einem bösen Wortmarathon exhumiert der Autor das Skelett des SS-Massenmörders - und mit dem Skelett die Geschichte Kamerings nach dem Krieg. Ausgrabung und die neuerliche Visitation des vielleicht meistbeschriebenen Dorfs der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ergeben: Der Boden, auf dem Kamering steht, ist vergiftet. Laß dich heimgeigen legt den Finger in die Wunde eines Jahrzehnte währenden kollektiven Verschweigens.



Josef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering bei Paternion in Kärnten geboren. 2008 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Der Herr, der schickt den Jockel aus: / Er soll den Hafer schneiden, / Der Jockel schneidt den Hafer nicht / Und kommt auch nicht nach Haus.

lieber tate! böser tate! Warum hast du geschwiegen, warum hast du es wohl verschwiegen, denn du mußt, wie all die anderen Dorfleute, wenn du uns deine Kriegserlebnisse und Kriegsabenteuer erzählt hast, vor allem zu Allerheiligen und Allerseelen, zu Ostern oder im Frühherbst beim gemeinsamen Türkenfiedern im Stall, vor dem Almabtrieb oder wenn wir auf den Feldern gearbeitet haben, auf dem »Spitzanger«, dem »Kirchenfeld« und auf den »Sautratten« - du mußt es gewußt haben, gib's zu, mein Tate -, daß im Kärntner Drautal, in dem wir aufgewachsen sind, unweit von unserem kreuzförmig gebauten Heimatdorf Kamering, auf den Sautratten, einem Gemeinschaftsfeld von mehreren Bauern, der aus Klagenfurt stammende Judenmassenmörder Odilo Globocnik verscharrt worden ist. Warum hast du uns nicht erzählt, auf welchem Boden wir stehen, wenn wir auf den Sautratten über dem Skelett des Nazibluthundes, der sich »Globus« und »König« nannte und sich gebrüstet hat mit den Worten »Zwei Millionen ham'ma erledigt!«, wenn wir Kinder mit Eltern, Magd und Knecht die Erdäpfel, den Roggen für das tägliche Schwarz-Brot, den Weizen für das Weiß-Brot, den Hafer für den Futtertrog deiner Zugpferde, für die Onga und für den Fuchs, eingebracht haben oder auf diesem Fleck Erde, in dem die Leiche des Judenmassenmörders verscharrt worden ist, die reifen Türkenkolben aus dem Maisfeld geerntet, vom langen hochgewachsenen dahinwelkenden zwei Meter hohen Gestänge gebrockt, auf einen Wagen geworfen, vor den die schwergewichtige Onga gespannt war mit den schwarzen Totenkränzen der blutsaugenden Bremsen um die vereiterten Augen, und heimgebracht haben und nach der Ernte am Abend im Stall noch gesellig beim Türkenfiedern zusammengesessen sind bei ein paar Krügeln Most für die Erwachsenen, Himbeersaft für die Kinder, und ein paar Leute aus dem Dorf gekommen waren und mitgeholfen haben. Auch der verschwiegene Onkel Peter war regelmäßig dabei, der im Zweiten Weltkrieg drei Brüder im jugendlichen Alter verloren hat, 18, 20 und 22 Jahre alt sind sie geworden, die drei Onkel, die ich nie kennengelernt habe und die auch die älteren Brüder meiner Mame waren, der eine wollte Pfarrer, der andere Mechaniker, der dritte wollte Elektriker werden. Während wir beim Türkenfiedern im Hintergrund das Schnauben und Kettengerassel der Stalltiere hörten, den Türkenkolben die beigefarbenen trockenen Hüllblätter abzogen, den feuchten Bart an den Kolbenspitzen abrissen, grinsend zwischen Oberlippe und Nase klemmten und die unförmigen Kolben mit den vielen gelben Zähnen der Türkenkörner im Wettstreit gegen die gegenüberliegende, gekalkte und von den Stalltieren kotbespritzte Wand warfen, sodaß zu unserer Belustigung gelbe Türkenkörner von der Wand absplitterten, bevor sie in den Futtertrog hinunterrieselten und die wohlgeratenen Türkenkolben neben unseren Füßen in Körbe gesammelt wurden, die später mit dem Gefieder auf Holzstangen an der regengeschützten Südseite des Heustadels zum Trocknen für die Aussaat auf den Sautratten im nächsten Jahr aufgehängt wurden, erzählten die Erwachsenen, die sich zu diesem Anlaß in unserem Stall eingefunden hatten - man hörte vor allem Männerstimmen und Frauengekicher -, Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend, aber vor allem vom Krieg, vom Zweiten Weltkrieg.

Während die erzählfreudigen Veteranen im noch halbleeren Stall, denn die Stiere, Ochsen und Kälber waren noch auf Sommerfrische in der Innerkrems, auf der »Blutigen Alm«, mit ihren groben Bauernhänden den aus dem Kadaver des Judenmassenmörders gewachsenen Maiskolben der Sautratten raschelnd die trockene Haut abzogen und die gelben Zähne der Türkenkörner entblößten - Jockel! Jockel! Hast g'hört! -, wurde ein Soldat wegen Kameradendiebstahls kahl geschoren, spl