Suche

Die Wilden - FamilientreffenOverlay E-Book Reader

Die Wilden - Familientreffen

Roman | Sabri Louatah

E-Book (EPUB)
2019 Heyne Verlag; Flammarion
304 Seiten
ISBN: 978-3-641-20771-7

Rezension verfassen

€ 12,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
Kurztext / Annotation
Was darf der Staat in Zeiten des Terrors?
Frankreich ist in Aufruhr. Noch immer ist es den Anti-Terror-Einheiten nicht gelungen, Nazir Nerrouche dingfest zu machen. Überdies zeigen die Ermittlungen, dass seine Verbindungen bis in die höchsten Regierungskreise reichen. Unterdessen wird der Druck auf die Familie Nerrouche erhöht und Nazirs Bruder Fouad, bislang Liebling der Pariser Gesellschaft, zum Prügelknaben der Nation. Um die Öffentlichkeit zu besänftigen, verschärft Präsident Chaouch die Sicherheitsmaßnahmen, was von den liberalen Kreisen argwöhnisch beäugt wird. Als schließlich Hinweise auf ein erneutes Attentat auftauchen, steht die Republik vor einem Kollaps

Sabri Louatah, 1983 in Saint-Étienne als Sohn eines Holzfällers und einer Hausfrau geboren, lebt heute mit seiner Frau in den USA. Die Unruhen in der Pariser Banlieu Anfang der 2000er Jahre inspirierten ihn zu seinem Roman-Zyklus »Die Wilden«, der in Frankreich von Publikum und Kritik gefeiert wurde. Zurzeit arbeitet Louatah an der TV-Adaption der Serie.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Zweiter Teil

Blutige Banner

1.

Im Abgeordnetencafé des Parlaments hatten alle die Umfrage von Ipsos-Le Monde gelesen, die die Linke von Chaouch bei den Wahlabsichten in einem Großteil der Wahlkreise vorn sah. Der Regen überschwemmte die Rasenflächen, von denen aus man das Quai d'Orsay und den Pont de la Concorde sehen konnte. Ein paar Raucher hatten sich unter dem Vordach der Restaurantterrasse zusammengedrängt. Einer der führenden Köpfe der Rechten philosophierte vor den jungen Parlamentariern seiner politischen Familie, wobei er seinen morgendlichen Zeitungsstapel schwenkte, den er eingerollt hatte, um ihm die Form eines Knüppels zu geben.

»Man sollte jetzt nicht so tun, als wäre man erstaunt, das wird immer schlimmer werden: Chaouch hat erst einmal Rückenwind dank seines gelungenen G-8-Gipfels, das sollten wir zugeben, aber auch so habe ich von Anfang an gesagt, dass unter den gegebenen Umständen und mit Blick auf den Zustand, in dem sich das Land befindet, die Leute beruhigt und gehätschelt werden mussten. Die ADN hatte nie eine Chance, dessen war ich mir immer sicher. Es war ein zu wildes Gebräu! Aber na ja, was wollen Sie, es scheint so, als hätte fast die Gesamtheit der Funktionäre unserer geschätzten Partei den Verstand verloren, wenn sie ihn nicht sogar absichtlich ausgeschaltet haben, nicht wahr, um diesem kurzbehosten Autokraten hinterherlaufen zu können, ohne sich zu viele Fragen stellen zu müssen ...«

Er redete von Montesquiou, dessen extreme Jugend - er war kaum dreißig - mehr noch als die Brutalität seiner Vorgehensweise denjenigen quer im Hals steckte, die er um eine Nasenlänge geschlagen hatte. Nach dem Rücktritt des abgewählten Präsidenten waren diejenigen zahlreich gewesen, die nun endlich ihre Stunde gekommen sahen. Sie sahen dabei nicht einen Augenblick lang kommen, dass ein seit Monaten vorbereiteter Coup, während sie noch ihre Truppen zusammenzogen, um ihre Kandidatur um den Vorsitz der Partei zu erklären, all ihre Bemühungen im Keim ersticken und sie dazu zwingen würde, mitzumarschieren, und zwar unter dem Banner eines heiligen Bundes der Patrioten, der nach Putsch und Geheimdienstmethoden roch.

Für die alten Hasen, die der ADN Treue hatten geloben müssen, war nun das Endstadium eines Republikzerfalls erreicht, der mit Chaouchs Sieg bei den Vorwahlen der Sozialisten begonnen hatte. Die Medien hatten für den arabischen Kandidaten geschwärmt, einen ebenso charmanten wie unerfahrenen Betrüger. Die kollektive Wahnvorstellung hatte anlässlich des Attentats am 6. Mai ein jähes Ende genommen. Die Volksvertreter waren damals aufgewacht, benommen und im ersten Moment vollkommen sprachlos. Selbst diejenigen, die ihm nicht positiv gegenüberstanden, mussten anerkennen, dass Montesquiou der Einzige war, der sich traute, über Strategie, Chancen und Wiedereroberung zu sprechen, während den Parteigrößen noch die Knie zitterten und sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Prinzip eines »heiligen Bundes« mit und unter Chaouch beugten.

Montesquious alte, geheime Ränke trugen endlich Früchte; die außerordentliche Versammlung war ein Erfolg und ein Meisterstück gewesen; und als sich dann Stimmen erhoben, um dem betreffenden Meister vorzuwerfen, niemals gewählt worden zu sein, nahm sie der furchtlose Eliteschüler beim Wort und wagte sich in die Höhle des Löwen, warf sich mitten in die Glut, ging nach Grogny - in Chaouchs Stadt.

Das Ziel war schön, und der Schütze stand mitten im Scheinwerferlicht; es waren jedoch seine Kritiker, die sich die Hände rieben: Die Wähler des 13. Wahlkreises von Seine-Saint-Denis würden diesen adligen Vogel, der gekleidet war wie ein Investmentbanker und sicherlich nicht einmal wusste, welche Farbe ein RER-Ticket hat, mit Haut und Haaren verschlingen.

Doch etwas lag in diesen Frühlingswochen in der Luft. Forscher untersuchten die Zusammensetzung des Blütenstaubs, der zu