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Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

Roman. Ausgezeichnet mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2015 | Clemens J. Setz

E-Book (EPUB)
2015 Suhrkamp
Auflage: 1. Auflage
1021 Seiten
ISBN: 978-3-518-74300-3

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Kurztext / Annotation

In einem Wohnheim für behinderte Menschen wird die junge Natalie Reinegger Bezugsbetreuerin von Alexander Dorm. Der Mann sitzt im Rollstuhl, ist von unberechenbarem Temperament und gilt als »schwierig«. Dennoch erhält er jede Woche Besuch - ausgerechnet von Christopher Hollberg, jenem Mann, dessen Leben er vor Jahren zerstört haben soll, als er ihn als Stalker verfolgte und damit Hollbergs Frau in den Selbstmord trieb. Das Arrangement funktioniere zu beiderseitigem Vorteil, versichert man Natalie, die beiden seien einander sehr zugetan. Aber bald verstört die junge Frau die unverhohlene Abneigung, mit der Hollberg seinem vermeintlichen Freund begegnet. Sie versucht, hinter das Geheimnis des undurchschaubaren Besuchers zu kommen und die Motive seines Handelns zu verstehen.
Dieser Roman ist eine Bergwerksfahrt in die Welt des Clemens J. Setz. Sie fördert ihre innere Ordnung zutage, ihre Geheimnisse und Prinzipien: Macht und Ohnmacht, Sinnsuche und Orientierungsverlust, Unterwerfung und Liebe in allen Spielarten - fürsorglich, respektvoll, besessen, Liebe als Wahn und als Manipulation. Und Rache. So subtil und schmerzhaft, dass die Frage nach Täter und Opfer in namenloses Gelände führt.



Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 prämiert. 2014 erschien sein erster Gedichtband Die Vogelstraußtrompete. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Mit Vereinte Nationen war Setz 2017 und mit Die Abweichungen 2019 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2021 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Abschluss

-Folgen Sie diesem Heißluftballon_!

Der Taxifahrer drehte den Kopf und schaute in die Richtung, in die Natalies Arm wies. Tatsächlich war da ein Ballon an der von ihrem Finger angepeilten Stelle zu sehen: ein fingerhutgroßer umgekehrter Wassertropfen im wolkenlosen Blau des Stadtrandhimmels, mit einem erahnbaren Firmenlogo auf der Außenhaut.

Natalie ließ ihren Arm sinken. Es war nicht abzusehen, wie der Taxifahrer reagieren würde. Ihr Herz klopfte, noch konnte alles schiefgehen. Sein Gesicht verriet nichts.

Es war der letzte Tag ihrer Ausbildung, und sie hatte gewaltig verschlafen. Im Grunde hatte sie alles schon hinter sich, alle Fachbereichsarbeiten geschrieben, alle Prüfungen bestanden, das Diplom gehörte ihr, war ab sofort Teil ihres Namens, also würde niemand wütend sein, wenn sie nicht zum Abschlussfest erschien. Aber sie hatte sich wochenlang darauf gefreut: Red Bull veranstaltete für die Ausbilderinnen und Absolventinnen aller Behindertenpädagogik-Lehrgänge des Landes einen fröhlichen Ballon-Tag, und selbstverständlich waren auch alle ehemaligen Schützlinge eingeladen, zwei Sonderballons würden mit rollstuhlgerechten Gondeln ausgestattet sein. Und Natalie war drei Stunden zu spät. Dreieinhalb.

Aber das hielt den Taxifahrer nicht davon ab, sich Zeit zu lassen, um die Informationen zu verarbeiten. Natalie begann ihn zu hassen, seine Schultern, seine schneeweißen Haare - doch da fuhr er unvermittelt los, ohne eine weitere Frage zu stellen. Natalie ließ sich in den Sitz zurückfallen, schnallte sich an, klatschte lautlos in die Hände und lachte. Geschafft_! Alles lief wieder glatt. Sie hatte letzte Woche elf Bewerbungen abgeschickt und stand in Kontakt mit der Welt. Vielleicht würde sie die Ballone noch aus der Nähe sehen, diese herrlichen sphärischen Gebilde, bei deren Anblick man innerlich runder und vollkommener wurde. Es würde doch ein schöner Tag werden_!

Da meldete sich der Fahrer. Er wisse nicht, wie er das machen solle, sagte er. Er bringe sie gern überall hin, aber der Ballon ... Er sprach das Wort mit Betonung auf der ersten Silbe aus. Allein dafür hätte Natalie ihn ohrfeigen können. Die Musik in ihrem Kopf verstummte. Sie lehnte sich nach vorn.

-Lassen Sie mich aussteigen, sagte sie.

-Haben Sie Adresse_?

Nein, die hatte sie vergessen. Es war ja auch nicht der Sinn einer dreistündigen Verspätung, gut vorbereitet und mit allen Informationen versorgt zu sein, oder_? Verdammter Idiot.

-Ist egal, sagte sie. Ich steig hier bitte aus.

Der Fahrer seufzte und hielt an. Weit waren sie nicht gekommen.

-Ich habe gehofft, es ginge zumindest bis zur Stadtgrenze, sagte Natalie. Einfach so, ohne Fragen.

Es hatte keinen Sinn mehr. Er hatte alles kaputtgemacht.

-Ja soll ich Sie bringen_? Bis Stadtgrenze_? Ist ka Problem. Aber Bállon ...

Der Fahrer deutete mit einer irritierend würdevollen Handbewegung auf das in großer Entfernung schwebende Flugobjekt.

-Ballón, korrigierte Natalie und versuchte, sich von dem tiefehrlichen Taxifahrerschnurrbart, der ihr schneeweiß aus dem Gesicht entgegenleuchtete, nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Hier. Stimmt so.

Sie gab ihm einen Fünf-Euro-Schein, mehr als genug für eine so kurze Fahrt. Er bedankte sich kopfschüttelnd bei ihr, hielt den Schein in der Hand und blickte drein, als hätte er nun wirklich jeden Glauben an - aber nein, stellte Natalie fest, sein Glaube an die Menschheit war immer noch intakt. Da, man sah es an seinem Nacken. Bestimmt konnte er ganz viele Sprachen. Deprimiert stieg sie aus dem Taxi.

Es wäre ohnehin zu spät gewesen. Dreieinhalb Stunden. Sie hatte gestern Abend das Muskelrelaxans genommen, davon schlief sie zu gut. Sie überquerte die Straße und lief in einen heißen Sommerwindstoß. Unruhe überkam sie, die Hände und Fingerspitzen fühlten sich komisch an, aurig - das war ihr Wort, seit