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Gehe hin, stelle einen WächterOverlay E-Book Reader

Gehe hin, stelle einen Wächter

Roman | Harper Lee

E-Book (EPUB)
2015 DVA; Harper Collins
320 Seiten
ISBN: 978-3-641-17949-6

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Kurztext / Annotation
Der sensationelle Manuskriptfund - das literarische Großereignis!
Harper Lee hat bisher nur einen Roman veröffentlicht, doch dieser hat der US-amerikanischen Schriftstellerin Weltruhm eingebracht: 'Wer die Nachtigall stört', erschienen 1960 und ein Jahr später mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet, ist mit 40 Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen eines der meistgelesenen Bücher weltweit. Mit 'Gehe hin, stelle einen Wächter' - zeitlich vor 'Wer die Nachtigall stört' entstanden - erscheint nun das Erstlingswerk. Das Manuskript wurde nie veröffentlicht und galt als verschollen - bis es eine Freundin der inzwischen 89-jährigen Autorin im September 2014 fand.
In 'Gehe hin, stelle einen Wächter' treffen wir die geliebten Charaktere aus 'Wer die Nachtigall stört' wieder, 20 Jahre später: Eine inzwischen erwachsene Jean Louise Finch, 'Scout', kehrt zurück nach Maycomb und sieht sich in der kleinen Stadt in Alabama, die sie so geprägt hat, mit gesellschaftspolitischen Problemen konfrontiert, die nicht zuletzt auch ihr Verhältnis zu ihrem Vater Atticus infrage stellen.

Ein Roman über die turbulenten Ereignisse im Amerika der 1950er-Jahre, der zugleich ein faszinierend neues Licht auf den Klassiker wirft. Bewegend, humorvoll und überwältigend - ein Roman, der seinem Vorgänger in nichts nachsteht.

Harper Lee wurde 1926 in Monroeville/Alabama geboren. Sie studierte ab 1945 Jura an der Universität von Alabama, ging aber vor dem Abschluss nach New York und arbeitete bei einer internationalen Luftverkehrsgesellschaft. Für das 1960 veröffentlichte Debüt und ihr bis 2015 einziges Buch 'Wer die Nachtigall stört' erhielt sie mehrere Preise, u.a. den Pulitzer-Preis. Der Roman zählt zu den bedeutendsten US-amerikanischen Werken des 20. Jahrhunderts, wurde in 40 Sprachen übersetzt und hat sich international rund 40 Millionen Mal verkauft. 'Gehe hin, stelle einen Wächter' wurde von Harper Lee vor ihrem Weltbestseller 'Wer die Nachtigall stört' geschrieben und galt als verschollen. 2015, fast sechzig Jahre später, erschien er unter großer weltweiter Aufmerksamkeit und führte in Deutschland und der englischsprachigen Welt die Bestsellerlisten an. Harper Lee, 2007 mit der amerikanischen Freiheitsmedaille des Präsidenten ausgezeichnet, lebte zurückgezogen in ihrem Heimatort Monroeville/Alabama, wo sie im Februar 2016 verstarb.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Seit Atlanta schaute sie mit einer fast körperlichen Freude aus dem Speisewagenfenster. Beim Frühstückskaffee sah sie die letzten Berge Georgias schwinden und die rote Erde auftauchen und mit ihr wellblechgedeckte Häuser und die für den Süden typischen gefegten Vorplätze, auf denen die unvermeidlichen Verbenen in weiß gestrichenen Autoreifen wuchsen. Sie grinste, als sie die erste Fernsehantenne auf einem ungestrichenen Negerhaus entdeckte; je mehr es wurden, desto froher wurde ihr ums Herz.

Jean Louise Finch machte diese alljährliche Heimreise sonst immer mit dem Flugzeug, doch diesmal, im fünften Jahr, hatte sie beschlossen, von New York nach Maycomb Junction mit dem Zug zu fahren. Zum einen, weil sie bei ihrem letzten Flug Todesängste ausgestanden hatte, da der Pilot sich bemüßigt fühlte, mitten durch einen Tornado zu fliegen. Zum anderen, weil ihr Vater, wenn sie mit dem Flugzeug anreiste, um drei Uhr morgens aufstehen musste, die hundertsechzig Kilometer nach Mobile fahren, um sie dort abzuholen, bevor er dann anschließend noch einen ganzen Tag arbeiten musste. Er war jetzt zweiundsiebzig, und das war ihm nicht mehr zuzumuten.

Sie war froh, dass sie sich für den Zug entschieden hatte. Züge hatten sich seit ihrer Kindheit verändert, die neuartige Erfahrung machte ihr Spaß: Wenn sie einen Knopf an der Wand drückte, erschien wie ein Flaschengeist ein dicker Schaffner; ein Edelstahlwaschbecken klappte auf ihren Befehl hin aus einer anderen Wand, und es gab ein Klo, auf das man die Füße legen konnte. Sie beschloss, sich durch etliche Hinweisschilder in ihrem Schlafwagenabteil - einer Einzelkabine - nicht einschüchtern zu lassen, doch als sie am Abend zuvor ins Bett gegangen war, hatte sie die Aufforderung HEBEL IN HALTERUNG EINRASTEN LASSEN ignoriert, was dazu führte, dass sie prompt samt Bett gegen die Wand klappte und der Schaffner sie aus ihrer misslichen Lage befreien musste - was doppelt peinlich war, da sie die Angewohnheit hatte, nur mit einem Pyjamaoberteil bekleidet zu schlafen.

Zum Glück patrouillierte er gerade durch den Gang, als die Falle mit ihr drin zuschlug: »Ich hol Sie raus, Miss«, rief er, als sie sich mit lautem Klopfen bemerkbar machte. »Nein, bitte«, sagte sie. »Erklären Sie mir einfach, wie ich hier wieder rauskomme.« - »Ich kann das, ohne hinzusehen«, sagte er und tat es dann auch.

Als sie am Morgen aufwachte, rangierte der Zug gerade ruckelnd im Bahnhof von Atlanta, doch sie befolgte ein weiteres Hinweisschild und blieb im Bett, bis College Park vorbeisauste. Dann zog sie ihre Maycomb-Kleidung an: graue Hose, schwarze ärmellose Bluse, weiße Socken und Slipper. Obwohl es noch vier Stunden bis Maycomb waren, konnte sie schon das geräuschvolle Naserümpfen ihrer Tante hören.

Sie war gerade bei ihrer vierten Tasse Kaffee, als der Crescent Limited mit lautem Tröten wie eine Riesengans seinen Richtung Norden fahrenden Kollegen begrüßte und über den Chattahoochee nach Alabama hinüberrumpelte.

Der Chattahoochee war breit, flach und schlammig, und heute sehr niedrig; eine gelbe Sandbank hatte aus dem Fluss ein Rinnsal gemacht. Vielleicht singt er ja im Winter, dachte sie: Ich hab keine einzige Zeile aus dem Gedicht von Sidney Lanier behalten. Als ich pfiff in wilden Tälern? Nein, das war was anderes. Ging's um Wasserfälle oder Wasservögel?

Sie unterdrückte streng den Drang, loszukichern, als sie darüber nachdachte, dass Sidney Lanier ihrem längst verschiedenen Cousin Joshua Singleton St. Clair sehr ähnlich gewesen sein musste, dessen eigene lyrische Ergüsse den Leser von Alabamas Baumwollgürtel bis nach Bayou La Batre führten. Jean Louises Tante pries Cousin Joshua ihr gegenüber oft als ein Familienvorbild, das nicht achtlos belächelt werden dürfe: Er war ein stattliches Mannsbild, er war ein Dichter, er war in der Blüte seiner Jahre aus dem Leben gerissen worden, und Jean Louise tue gut daran, nicht zu vergessen