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Mauerpost

Maike Dugaro; Anne-Ev Ustorf

E-Book (EPUB)
2019 cbt
336 Seiten; ab 13 Jahre
ISBN: 978-3-641-22791-3

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Kurztext / Annotation
30 Jahre Mauerfall
Berlin, 1988: Julia ist fünfzehn Jahre alt und lebt im Osten der Stadt, direkt an der Mauer. Ihre Nachbarin 'Oma Ursel' vermittelt ihr eine Brieffreundschaft mit der dreizehnjährigen Ines aus Westberlin, Ursels Enkelin. Doch die Brieffreundschaft muss streng geheim bleiben: Julias Vater duldet keine Westkontakte und Ines' Mutter will nichts mehr zu tun haben mit dem Staat, aus dem sie einst floh. Brief für Brief kommen Ines und Julia einem großen Familiengeheimnis auf die Spur ...

Maike Dugaro (geboren 1977) ist Journalistin, Dozentin und Biographin. Sie war lange als Redakteurin bei GEO.de beschäftigt und schreibt heute freiberuflich Reisetexte und Biographien. Sie unterrichtet Journalismus an der Akademie für Publizistik in Hamburg.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Wilhelmsruh, 7.7.1989

Liebe Ines,

wir müssen noch vorsichtiger sein. Christa wurde an der Grenze durchsucht. Ich hab' richtig Angst, seit Oma Ursel mir das erzählt hat. Sie haben den Brief nicht gefunden, weil sie ihn ja wie immer gut versteckt hatte. Ihre ganze Tasche haben sie umgestülpt. Und in die Schuhe haben sie auch gesehen. Nur eine alte Rechnung haben sie aus ihrer Handtasche gezogen und sehr lange studiert. Aber was, wenn sie Christa jetzt einfach im Auge behalten? Wir müssen uns irgendwas überlegen. Vielleicht gibt es noch jemand anderen, der die Briefe über die Grenze bringen könnte. Vielleicht wenigstens jedes zweite Mal. Fällt Dir da jemand ein? Christa war auf jeden Fall wohl ganz schön durcheinander. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie den Brief gefunden hätten. Vielleicht ist Deine Idee mit einer Geheimsprache nicht verkehrt. Wir werden sie vielleicht schon bald brauchen. Aber nicht nur das. Auch einen geheimen Ort für unsere Briefe. Ich bin nämlich nicht sicher, ob wir Oma Ursel noch länger als Briefempfängerin nutzen sollten. Sonst passiert auch ihr noch was. Wir müssen Christa bitten, die Briefe irgendwo zu verstecken. An einem Ort, den sie Ursel mitteilt, und an dem ich sie dann finden kann. Niemand soll etwas bei Ursel entdecken können.

Dein Vater sagte doch vor Kurzem, dass die DDR die politischen Veränderungen nicht überleben wird - darüber denke ich seitdem nach. Was Gorbatschow bei seinem Besuch im Juni meinte, dass jeder Staat das Recht hat, das eigene politische und soziale System frei zu wählen, macht hier vielen Mut. Tinas Eltern zum Beispiel, die hoffen, dass ihr Ausreiseantrag jetzt schneller bewilligt wird. Und auch Uwe, der die Hoffnung nicht aufgibt, dass die DDR eine bessere DDR sein kann. Aber heißt es nicht auch, dass, wenn unser Staat den Sozialismus gewählt hat, dass das eben unsere Entscheidung ist? Dass wir dann damit leben müssen oder vielleicht auch wollen?

Uwe sagt, dass wir es eben nicht frei gewählt hätten, weil es hier keine freien Wahlen gäbe. Aber wer hat es dann gewählt? Haben nicht die Gründer der DDR den Sozialismus für die beste Staatsform gehalten? Und ist es dann nicht deshalb richtig? Ich bin ein wenig ratlos, wie Du merkst. Mit meinen Eltern kann ich nicht darüber reden. Mit Mutti vielleicht schon, aber nicht, wenn mein Vater da ist. Und wann soll das bitte sein?

Aber neulich habe ich gesehen, dass Mutti Westfernsehen guckt. Ich bin nachts nochmal aufgestanden, weil ich Durst hatte. Kommt eigentlich nie vor, aber es war so heiß in der Nacht. Da konnte ich sehen, dass ein Lichtstrahl aus dem Wohnzimmer in den Flur fiel. Und als ich näher kam, hörte ich - ganz leise - einen mir unbekannten Nachrichtensprecher.

Keine Ahnung, wie lange sie das schon macht. Aber sie wirkte nicht so, als würde sie das zum ersten Mal gucken, sondern eher so, als würde sie das jede Nacht machen. Die Füße hatte sie auf den Tisch gelegt. Ich konnte das Loch in ihrer linken Socke genau sehen. Zum Glück hat sie mich nicht gehört.

Ich bin also nicht die Einzige in der Familie, die Westfernsehen guckt. Meiner Mutter scheint es auch nicht mehr zu genügen, die »Aktuelle Kamera« zu sehen. Mein Vater ahnt sicher nichts. Wenn der schläft, dann schläft er. Da kann eine Kuh durchs Zimmer laufen. Der wird nicht wach.

Mir gegenüber tut Mutti immer sehr pflichtbewusst, aber ich glaube, bei ihr verändert sich da grade was. Seit immer mehr Kollegen nicht mehr aus dem Ungarn-Urlaub zurückkommen, muss sie noch mehr arbeiten. Sie beklagt sich nicht, aber ich merke, dass sie wütend ist. Nicht auf die Kollegen, sondern auf die Partei. Das sagt sie natürlich nicht so direkt, aber neulich beim Abendbrot ist ihr dann doch was rausgerutscht. »Und, was sagt ihr nun?«, hat sie meinen Vater angezischt. Keine Ahnung, was sie mit »ihr« meint. Schließlich ist er ja auch nur ein



Anne-Ev Ustorf, geboren 1974, studierte Geschichte und ist seit mehreren Jahren als freie Journalistin tätig. Sie schreibt regelmäßig für Magazine wie Psychologie Heute, Brigitte, Brigitte Woman, Emotion, Süddeutsche Zeitung und den Spiegel.