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Das versteinerte HerzOverlay E-Book Reader

Das versteinerte Herz

Roman. Nobelpreis für Literatur 2021 | Abdulrazak Gurnah

E-Book (EPUB)
2024 Penguin Verlag; Bloomsbury, London 2017
368 Seiten
ISBN: 978-3-641-31542-9

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Kurztext / Annotation
Erstmals auf Deutsch: Gurnahs bewegender Coming-of-age-Roman über Verrat, Migration und die Suche nach dem Platz im Leben
Salim ist sieben und ein kleiner Träumer. Sein Leben ruht auf einigen scheinbar unerschütterlichen Säulen: der täglichen Routine von Schule und Koranunterricht, den geliebten Büchern und seinem angebeteten Onkel, der sich ihm - anders als sein Vater - nicht ständig entzieht. Aber es sind die 1970er-Jahre und folglich keine guten Zeiten für Träumer, denn der Geist des Wandels fegt über Sansibar. Plötzlich ist Salims Vater verschwunden und eine Revolution, Gewalt und Korruption erschüttern die Insel. Erst im Rückblick, als Teenager und Student, der sich seinen Weg durch die fremde und abweisende Stadt London bahnt, beginnt Salim zu begreifen, welche Schatten seine Familie in der Zeit des Umbruchs beherrschten. Salim sucht nach Antworten auf das, was damals geschah, und muss sich der Wahrheit über jene Menschen stellen, die ihm am nächsten standen.

So kraftvoll wie berührend schreibt Abdulrazak Gurnah über den Einfluss der Geschichte auf unser Leben und erschafft dabei Charaktere, die man so schnell nicht vergisst.

»Die Eleganz und Souveränität, mit der Gurnah schreibt, sein Verständnis dafür, wie leise, langsam und wiederholt ein Herz brechen kann, machen diesen Roman zu einer tiefen Quelle der Freude.« Guardian

Abdulrazak Gurnah (geb. 1948 im Sultanat Sansibar) wurde 2021 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Er hat bislang zehn Romane veröffentlicht, darunter »Paradise« (1994; dt. »Das verlorene Paradies«; nominiert für den Booker Prize), »By the Sea« (2001; »Ferne Gestade«; nominiert für den Booker Prize und den Los Angeles Times Book Award), »Desertion« (2006; dt. »Die Abtrünnigen«; nominiert für den Commonwealth Writers' Prize) und »Afterlives« (2020; dt. »Nachleben«; nominiert für den Walter Scott Prize und den Orwell Prize for Fiction). Gurnah ist Professor emeritus für englische und postkoloniale Literatur an der University of Kent. Er lebt in Canterbury. Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Penguin Verlag.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

2 NACH BABAS VERSCHWINDEN

Saida und Masud, so hießen sie, meine Mutter und mein Vater. Sie hatten sich bei einer Veranstaltung des Jugendbunds der Partei kennengelernt, als sie beide noch zur Schule gingen. An diese Information kam ich nur, weil ich meine trotzig schweigende Mutter mit Fragen bedrängt und sie am Ende sogar angefleht hatte. »Es ist nur eine simple Frage, Mama«, bettelte ich. Sie weigerte sich, es mir zu erzählen, wie sie sich generell weigerte, über meinen Vater und ihre gemeinsame Vergangenheit zu sprechen. Am Ende erklärte sie, es sei bei einer Veranstaltung des Jugendbunds passiert. »Damals haben sie uns ständig bedrängt. Wir mussten auf Baustellen aushelfen, jeden Morgen ein Loblied auf den Präsidenten singen und zu den Demonstrationen gehen. Es war reine Nötigung.« Mehr wollte sie über Baba und sich nicht sagen, und so ging das jahrelang. Wenn ich konkrete, sachbezogene Fragen stellte, bekam ich manchmal eine Antwort, aber zu den Einzelheiten ihrer Beziehung äußerte sie sich nie.

Ich weiß, dass er bei der Heirat einundzwanzig war und sie zwanzig, was damals durchaus nicht als zu jung galt. Zwei Jahre später und wenige Tage nach Bibis Tod kam ich auf die Welt, und irgendwann danach zog Onkel Amir bei uns ein. Ich stand auf derselben Bühne wie die Hauptdarsteller meiner frühen Kindheit, aber was die Ereignisse, die auch mich prägten, wirklich bedeuteten, erfuhr ich erst eine ganze Weile später. Onkel Amir war in unserem kleinen Königreich der Prinz, und ich himmelte ihn an. Er brachte mich zum Lachen, machte mir kleine Geschenke und ließ mich an seinem Transistorradio herumspielen. Wenn etwas auf meinem Teller lag, das ich nicht hinunterbekam, fettiges Fleisch, ein Stück Niere oder ein Joghurtklumpen, ließ er es schnell verschwinden, ohne dass meine Mutter es bemerkte. Ich liebte ihn abgöttisch, weil meine Eltern ihn abgöttisch liebten; warum sie das taten, fragte ich mich allerdings nie.

Mein Vater war damals nicht derselbe Mann, den ich später kennenlernen sollte. Ich war noch zu jung, um Erinnerungen zu sammeln, die dauerhaft waren und sich zu einer schlüssigen Erzählung zusammenfügen ließen. Ich erinnere mich nur an seine sanfte Art, sein schallendes Lachen und viele andere, kleine, aber sehr genaue Details. Wie ich auf seinem Schoß sitze, eine Umarmung, eine Geschichte, sein aufmerksamer Blick beim Zuhören. Ich weiß nicht mehr, wer mich, als ich fünf Jahre alt war, zum ersten Mal in die Koranschule brachte - vermutlich er, hatte er doch darauf bestanden, mich möglichst früh anzumelden -, aber ich weiß noch genau, dass in der ersten Stunde das Alphabet unterrichtet wurde. Meine Mutter hatte es mir längst beigebracht: Alif, ba, ta, tha. Ich habe die Szene vor Augen, als säße ich wieder dort. In die Grundschule wurde ich ganz sicher von meinem Vater begleitet. Ich war schon fast sieben, und die erste Aufgabe bestand darin, das Alphabet zu lesen, allerdings rückwärts, angefangen beim Z, nur für den Fall, dass wir Kolonisierten herumgetrickst und uns lediglich die Abfolge eingeprägt hatten. Aber weil meine Mutter mir das römische Alphabet ebenfalls beigebracht hatte, war mein erster Tag in der Grundschule ein glücklicher.

In dem Jahr, als ich auf die Grundschule kam und dort vom ersten Tag an glücklich war, trat meine Mutter ihre Stelle in einem Verwaltungsbüro an, und Amir fand Arbeit in einem Touristenhotel. Einer seiner Freunde hatte in Shangani das Coral Reef Inn eröffnet und meinen Onkel als Manager für Freizeitaktivitäten angestellt. Damals erlebten wir eine nie da gewesene touristische Invasion. Es dauerte eine Weile, bis alles sich eingespielt hatte, aber in dem Jahr ging es los. Die Regierung hatte die Devisenbestimmungen gelockert, und plötzlich reisten Leute aus reichen Ländern an und wollten unsere heruntergekommene kleine Insel sehen. Es war das Jahr, in dem ich sieben wurde und mein Vater uns verließ.

Zunächs